DER SCHNEEWEISS KRUG

Historisches Original oder Reproduktion?


Anfrage von Herrn Ernst Schneider im Oktober 2012

Wir erhielten diese Anfrage unseres Lesers mit Bildern und geben sie hier mit seiner freundlichen Erlaubnis auszugsweise wieder:


... Vor ein paar Tagen konnte ich eine Kanne erwerben. Meine Frage wäre, ob es sich um eine Reproduktion oder ein Original handelt. Wächtersbach soll diese Keramik von 1900, um 1979 als eines der schönsten Jugendstil Stücke wieder neu aufgelegt haben. Können sie mir bitte helfen...

... Es ist ein Schild oder ein umgedrehter Bienenkorb mit zwei Stichen oder 3 Türen und der Nummer 3709 / 0 zu erkennen ...

Schneeweiss Krug AnsichtSchneeweiss Krug Ansicht Boden
Bild 1 - Schneeweiss Krug Bild 2 - Ausschnitt Standring

Sehr geehrter Herr Schneider,

gerne beantworten wir Ihre Anfrage.

Der Waschkrug ist Teil einer Waschgeschirrserie mit der Formbezeichnung "Anita". Diese Serie wurde um 1900 - wahrscheinlich 1902 - vom Hauptmodelleur Hans Schneeweis in der Waechtersbacher Steingutmanufaktur entworfen und dort über eine längere Zeit produziert.

Am Boden befindet sich das sogenannte "Bindeschild", eine Prägung in Form des ysenburgischen Wappens. Die Bodenprägung 3709 ist die damalige Artikelnummer, die Erweiterung 0 ist als Größenangabe gemeint. Der Krug ist in alten Artikellisten mit einer Höhe von 30,8 cm angegeben. Ein Artikel aus dieser Zeit hätte üblicherweise weitere Markierungen, einen Farbstempel der damals gebräuchlichen "Dreiecksmarke", eventuell alternativ auch die "Schwanenmarke". Zusätzlich wurde auch oft die Nummer des Dekors aufgestempelt, das wäre in diesem Fall die Nummer 1537. Regelmäßig wurde auch eine codierte Markierung des Formers und des Jahres eingeprägt.

Katalogblatt
Bild 3 - Fabrikkatalog 1909 / 1914
Katalogblatt
Broschüre und Zertifikat zu jedem produzierten Krug

Der gute Erhaltungszustand Ihres Kruges und die fehlenden zusätzlichen Markungen lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass es sich um eine Replik handelt.

Um 1978 erhielt die Fabrik einen Auftrag des Burda Verlages zur Anfertigung einer limitierten Auflage eines Jugendstilkruges. Der damalige Leiter der Formerei wurde damit betreut, diesen Krug zu reproduzieren. Nicht bekannt ist, ob Herr Reul mit den alten Originalformen gearbeitet hat, man kann es aber vermuten. Danach wurde der Krug bis etwa 1990 gelegentlich aus besonderen Anlässen in Einzelstücken hergestellt, kam allerdings nicht in den regulären Handelsverkauf.

Freuen Sie sich an dem gut erhaltenen Krug, wenn er auch nicht ein altes Original ist.

Dürfen wir Ihre Frage, Ihre Bilder und unsere Antwort im Forum auf unserer Internetseite veröffentlichen? Das würde weitere Sammler ermutigen, über Ihre Funde zu berichten.

Mit freundlichen Grüßen

Team Projekt Waechtersbach


In eigener Sache

Auf unsere Frage, ob jemand ein Foto des historischen, originalen Schneeweiskruges zur Verfügung stellen möchte, erhielten wir von einer Leserin den Hinweis auf die veröffentlichten Abbildungen des Kruges in: Frensch, Abb. Nr. 102/103 S. 53 und Sammlung Jensen, Abb. 017, S. 25 (Quellenangaben s. Dokumente/Bücher). Vielen Dank für den Hinweis. Wir werden uns um die Erlaubnis bemühen, die Abbildungen demnächst an dieser Stelle zeigen zu dürfen.

Beide Abbildungen zeigen den gleichen Krug ohne Formnummer bei Frensch (ebd.) und unter der Formnummer 3709 bei der Sammlung Jensen (ebd.), jedoch in verschiedener Dekoration. Während der Krug aus dem Fabrikarchiv graublau ist und einen weißen oberen Abschluss hat, zeigt der Krug aus der Sammlung Jensen das Dekor umgekehrt: der Krug ist weiß und hat einen graublauen Abschluss.

Wir finden, das ist ein schöner Beweis für die individuelle Manufakturarbeit der Fabrik. Der Sachverhalt gibt aber auch grundsätzlich Anlass zu Spekulationen, wie es zur selben Zeit zu verschieden ausgeführten Artikeln kam.


Zur Herrn Schneiders Anfrage möchten wir ergänzen, dass die Replikkrüge regelmäßig durch eine recht dunkle Grautönung auffallen. Das alleine ist aber kein sicherer Hinweis darauf, dass es sich um eine Replik handelt. Auch ältere Originale können im Farbton dunkler ausgefallen sein. Bodenmarken und Erhaltungszustand sind zuverlässigere Hinweise.

Einen weitereren Hinweis liefert die Größe des Kruges. Auf dem folgenden Bild ist ein reproduzierter Krug abgebildet, den wir aus zuverlässiger Quelle zur Verfügung hatten. Dieser Krug ist ebenfalls mit der Schildmarke und der der Nummer 3709/0 gemarkt.


reproduzierter Schneeweiss Krug
Bild 4 - reproduzierter Schneeweiss Krug

Wir haben den Krug vermessen: Höhe 21,5 cm, Durchmesser unten 13,7 cm. Der Krug der Sammlung Jensen (ebd.) hat die Höhe 32,5 cm, der Krug in Frensch (ebd.) ist mit 32,6 cm Höhe angegeben. Die zwei Krüge auf dem Katalogblatt 1909/1914 sind mit den Höhenangaben 30,8 cm und 23,6 cm versehen.

Man kann wohl davon ausgehen, dass die Replik aus der Originalform des kleineren Handwaschkruges Nr. 3717 entstanden ist. Dafür spricht die Größe, die bedingt durch unterschiedliche Masseschwindung abweicht. Aber warum ist die "falsche" Formnummer verwendet worden? Wollte uns der allseits sehr geschätzte Modelleurmeister Reul ein Indiz an die Hand geben, das die identifizierung der Replik ermöglicht?

Wie so oft tauchen neue Fragen auf, je genauer man sich Dinge betrachtet. (Frei nach Heisenberg)